
Novi Sad bot uns gerade die richtige Menge an Sehenswürdigkeiten, um eine kleine Stadtbesichtigung zu machen und trotzdem genügend Zeit zu haben, im Hotel unsere müden Beine hochzulegen. Wir hatten schon bald einmal das Bedürfnis, einfach mal nichts zu tun, überwältigt von all den Eindrücken, die wir auf unserer Reise bisher erlebt hatten. Am nächsten Morgen änderte sich dies aber schlagartig, der Himmel war stahlblau, und es drängte uns wieder zurück auf den Sattel.
Wir wollten zeitig los, um am Nachmittag bereits in Belgrad zu sein, weil wir auch von der Hauptstadt einen kleinen Eindruck mitnehmen wollten. Der Weg führte uns z.T. über stark befahrene Strassen, auf groben Schotterpisten durch den Fruska Gora Nationalpark, oder durch kleine Dörfchen - immer begleitet von freundlichem Autohupen und winkenden Serben am Wegrand.

Die Landschaft veränderte sich zunehmend. Die ewigen Dämme der Auenlandschaften hinter uns lassend, fuhren wir nun mehr und mehr durch hügeliges Gebiet. Auf einem besonders steilen Abschnitt - wir waren unterwegs mit einem Tempo um jeden Stein am Boden einzeln betrachten zu können - lag alle zwanzig Meter ein Apfelgehäuse am Boden. Dazwischen, in regelmässigem Abstand Apfelschalenstücke, das Fruchtfleisch sorgfältig abgekaut. Den Blick langsam gerade aus richtend sahen wir oben am Berg ein altes Hutzelmännchen seinen Drahtesel den Hügel hinauf schieben. Wir näherten uns ihm langsam aber stetig und kurz bevor wir ihn eingeholt hatten, stieg er plötzlich auf und trat kräftig in die Pedale. Doch eine kurze Zeit später verliess ihn die Kraft wieder und er schob weiter. Zu seinem Bedauern fuhren wir schliesslich an ihm vorbei, weiterhin in gemächlichem Tempo. Doch da, kurz vor dem höchsten Punkt schoss der Alte plötzlich an uns vorbei, laut johlend und lachend und zog davon. Was Äpfel nicht alles bewirken können. Domi konnte das natürlich nicht auf sich sitzen lassen, und die beiden lieferten sich ein echtes Wettfahren. Männer! Bei der Talabfahrt waren wir mit unserem Gewicht deutlich im Vorteil und brausten ihm mit einem "Dovidjenja" davon.


An blühenden Kirschbäumen vorbei fuhren wir Richtung Belgrad, als wir plötzlich von zwei deutschen Mädels auf dem Reisevelo in eiligem Tempo überholt wurden. Wie wir später erfuhren, waren sie ebenfalls auf dem Donauradweg unterwegs von Budapest nach Belgrad. Die Stadteinfahrt nach Belgrad war dann alles andere als erholsam. Die Strasse führte durch dichtes Industriegebiet mit farbigen Rauchfahnen, die weniger gesund aussahen. Die Blechlawine neben uns trug das Ihrige dazu bei und der schlechte Strassenbelag erschwerte das Fahren zusätzlich. Das letzte Stück ins Zentrum mussten wir unser Velo gar auf dem Trottoir schieben, denn die Autos donnerten auf einer mehrspurigen Strasse nur so an uns vorbei.


Am Abend schauten wir uns noch kurz die Stadt an, assen einen Salat (wirklich! aber er war riesig) und verzogen uns in unser Hostel, wo wir die erste Kakerlake verbuchen konnten. Der Weg, der uns am nächsten Morgen aus Belgrad hinausführte verleidete uns etwas kommende Stadtbesichtigungen. Wir freuten uns, als wir endlich wieder auf einem Damm am Wasser entlang fahren durften. Hier und nicht auf dem Asphalt war es aber, wo wir unseren ersten Unfall bzw, Umfall hatten. Domi, hinter mir fahrend, wurde von zwei laut bellenden Hirtenhunden gleichzeitig attackiert.

Als er ihnen eins mit der um sich schwingenden Fahrradpumpe überzog (die zweite Option, wenn Wasserspritzer aus der Trinkflasche nichts mehr nützen), verlor er kurz das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Die Hunde hatten offenbar erreicht, was sie wollten, denn sofort machten sie kehrt und rannten zurück zur Hirtin, die keine Anstalten gemacht hatte, ihre Wächter etwas früher zurückzupfeifen. Domi war zum Glück nichts passiert und die Pumpe liess sich auch wieder gerade biegen. So kennen wir nun auch die dritte Option, wie man sich vor wilden Hunden wehren kann. Als wir kurze Zeit später in einem kleinen Örtchen Rast machten, tauchten plötzlich zwei Tourenfahrer auf. Sie entdeckten uns sofort und fuhren zu uns hin. Dem Gepäck entsprechend schienen auch sie auf einer längeren Reise zu sein. Ein paar Worte später war klar:
Marianne und Tobias aus der Ostschweiz waren zwei Wochen nach uns in der Schweiz abgefahren und auf dem Weg nach China. Gefunden haben sie uns dank Tobias´ pfadfinderischem Talent.

Auf dem Damm hatte er unsere Spuren eindeutig als Schwalbe Marathon Reifen identifiziert. In der Überzeugung, dass diese nur von Langstreckenradlern stammen konnten (allerdings mit falsch herum montierten Reifen...) verfolgten die Beiden unsere Spuren erfolgreich weiter bis zu uns. Wir haben uns auf Anhieb super verstanden und es machte riesig Freude, gegenseitig Erfahrungen auszutauschen, sei es über die Vorbereitung, die Ausrüstung oder Erlebtes auf der Reise. Nach dem Zmittag fuhren wir gemeinsam weiter. Die Serben machten nun doppelt so grosse Augen, als sie unseren Velokonvoi vorbeifahren sahen. Irgendwann war klar, dass wir uns gemeinsam einen Zeltplatz suchen wollten, die Gesprächsthemen waren schliesslich noch lange nicht ausgeschöpft.


So fanden wir, zwar auf recht offenem Gelände, doch zu viert fühlt man sich gleich viel sicherer, ein schönes Plätzchen an einem Nebenkanal der Donau. Wir freuten uns auch über unsere Nachbarn, serbische Fischer, die am anderen Ufer am Steilhang ebenfalls ihr Zelt auspackten. Alles war perfekt, nur das Feierabendbierchen fehlte. Anderntags fuhren wir gemeinsam los, überquerten die Donau bei Stara Falanka mit der Fähre, und nahmen eine der schönsten Strecken des Donauradwegs in Angriff. Vorbei an der mittelalterlichen Festung in Golubac, immer weiter durch den
Djerdap Nationalpark, Richtung Eisernes Tor, der am schwersten passierbaren Stelle der Donau. Gegen Abend zogen dann zunehmend Wolken auf, und wir mussten uns langsam aber sicher einen Zeltplatz suchen. Die letzte Gelegenheit in einem der seltenen Ortschaften Wasser zu tanken hatten wir irgendwie verpasst, abgelenkt durch den Fahrtwind und die schöne Landschaft um uns herum.


Auf unserer Karte war in wenigen Kilometern Entfernung ein Museum eingezeichnet, wo wir uns einen fliessenden Wasserhahn erhofften, da wir unseren Wasserfilter lieber noch bis Zentralasien schonen wollten. Bei der Museumsanlage hatte es ein kleines Bistro, wo wir uns zuerst einmal ein Cöggeli gönnten. Eigentlich waren wir alle zu müde um noch weiter zu fahren, und so kam uns die Idee, die Servierdame zu fragen, ob wir auf dem Grundstück unser Zelt aufschlagen durften. Sie verwies uns an den Security des Museums - ein älterer Serbe, der kein Wörtchen Englisch oder Deutsch oder irgend eine andere Sprache als Serbisch sprach.


Unser Anliegen konnten wir ihm dann trotzdem irgendwie klar machen, und er liess uns auf dem Grundstück übernachten, wo wir von Rex und seiner Gefährtin bewacht wurden. Der Security lud uns dann noch auf einen Kaffee ein. Als Tobias ihm mit Händen und Füssen mitteilte, dass wir uns erst etwas waschen wollten und dann sehr gerne einen Kaffee nehmen würden, hat er dies zu unserem Entzücken missverstanden und uns auch noch seine warme Dusche zur Verfügung gestellt. Glücklich und sauber kochten wir uns dann am Holztisch einen Risotto.

Der Regen kam nachdem der letzte Reissverschluss zu war. Am nächsten Morgen mussten wir etwas früher aus den Federn, denn bis 8 Uhr sollten die Zelte weggeräumt sein. Sonst "Probljema", meinte der Serbe. Trotzdem wurden wir von ihm nochmals zu einem Kaffee eingeladen. Die Konversation stellte sich dann irgendwann ein, als er uns auf unsere Frage nach dem Wetter mit "Da drüben liegt Rumänien" und "die Donau fliesst ins Schwarze Meer" auf Serbisch antwortete. Unsere paar Brocken Russisch haben nicht wirklich geholfen. Unterwegs merkten wir dann sehr bald, dass das Wetter auch nicht so recht wusste, was es eigentlich wollte. Zig-mal Regenjacke aus- und anziehen war die Devise.


Unterwegs kreuzten wir noch zwei andere Schweizer Radwanderer, auf dem Weg von Zürich nach Luzern. Kurz bevor die Sonne unterging erreichten wir einen geschlossenen Zeltplatz direkt an der Donau in Brca Palanka. Der benachbarte Restaurantbesitzer "erlaubte" es uns trotzdem auf dem Areal zu campieren, und wir durften sogar seine Toilette benutzen. Leider hatten wir dann am Morgen etwas zu lange getrödelt, so dass uns der Campingbesitzer noch antraf um die Gebühr einzukassieren. "
In ten minutes water!" Dies kam leider auch 12 Stunden zu spät, sowie der Schlüssel zur Dusche und Toilette. Wir waren etwas verärgert, dem Falschen unser Geld geben zu müssen.


So fuhren wir schliesslich los, Richtung bulgarische Grenze, wo Domis GPS automatisch eine Stunde nach vorne schaltete - wir hatten die erste Zeitzonengrenze überquert! In Bulgarien waren die Leute nicht weniger freundlich und offen als in Serbien, und dass Russischkenntnisse hier von Vorteil sind machte sich rasch bemerkbar. Wo in Serbien noch alles in lateinischer und kyrillischer Schrift angeschrieben war, fand man hier nur noch kyrillische Buchstaben. Auch mit der alten Frau im ersten Dörfchen konnten wir ein kleines "Gespräch" führen, denn einzelne Wörter konnten wir verstehen. Obwohl sie erst die Nase rümpfte, als wir ihr sagten, dass wir etwas Russisch sprechen könnten, gab sie dann zu, dass Bulgarisch dem Russischen doch sehr ähnlich sei. Der erste Abschnitt in Bulgarien war sehr eindrücklich, die Landschaft viel grüner als vorher in Serbien, die Bäume blühten überall, der Frühling zeigte sich in seiner vollen Pracht. Kein Wunder - hier ist ja auch eine Stunde länger hell, oder?...
