Dienstag, 29. Mai 2012

Durchs wilde Kurdistan

Unseren Ruhetag in Karadut verbrachten wir vorwiegend im Teegärtchen sitzend, Glace schleckend und unsere Seelen baumeln lassend. Auch ein kurzes Interview für den lokalen Fernsehsender ASU TV konnte uns nicht aus der Ruhe bringen. Richtig erholt von den Strapazen am Nemrut, schwangen wir uns auf die Räder und fuhren weiter ostwärts. Unseren Blick liessen wir immer wieder in die Ferne schweifen auf die unzähligen Seitenarme des Euphrats, die als Folge des gigantischen Atatürk Staudamms entstanden sind und mehr als 50´000 Einwohner zur Umsiedlung zwangen. Das riesige Stauwehr produziert ungefähr ein Zehntel der elektrischen Energie der Türkei. Gegen Mittag durften wir unsere Velos dann auf eine Fähre verladen, die uns über den Euphrat transportierte. Während wir auf den Kahn warteten, machte Domi Bekanntschaft mit dem erfolgreichsten türkischen Ornithologen (mehr als 450 verschiedene Vogelarten hat er in der Türkei bereits gesichtet). Er machte uns auch auf den einsamen Gänsegeier aufmerksam, der hoch über unseren Köpfen elegant durch die Lüfte kreiste - weit weg von allen Flötenschnitzern der Welt... 

Unser Mittagessen auf der anderen Seite des Flusses bestand dann aus 4 x 3 Toastsandwiches mit Käse und Wurst. Der Budenbesitzer staunte nicht schlecht und freute sich, dass er dank uns nimmersatten Velofahrern seinen Tagesumsatz innerhalb einer knappen Stunde bereits einkassiert hatte. Wir verliessen die hügelige Umgebung des Euphrats und fanden uns wenig später in einer steppenähnlichen Landschaft wieder, wo nur wir und ein paar Hirten und Schafe anzutreffen waren. Das kurdische Städtchen Siverek lag genau in Tagesdistanz entfernt, und so suchten wir uns dort ein günstiges Hotel. Keiner hatte das von Westen herannahende Gewitter bemerkt, und wenig später waren wir alle heilfroh, nicht im Zelt übernachten zu müssen. Stattdessen gönnten wir uns ein schmackhaftes Abendessen in einer alten Karavanserei. Unser freundliche "Privat-Kellner" führte uns danach noch in den oberen Stock, in eine Bar mit türkischer Live-Musik. Nach einem Bierchen begleitete uns unser Kellner vor die Bühne, wo wir beim Halay mittanzen durften, alle in einer Reihe, links und rechts mit den kleinen Fingern eingehakt (Autsch!), drei Schritte vor, drei Schritte zurück. Das war ziemlich einfach. Beim Stakkatoknieausrenkerhüftzuck-Tanz mussten wir dann leider passen.

Frühmorgens fuhren wir dann von Siverek weiter in Richtung Diyarbakır, durch eine scheinbar endlose, öde Steinwüste. Der starke Gegenwind und der schlechte Strassenbelag zwang uns zu 10-12 km/h und die Stimmung nahm rapide ab. Doch wie durch ein Wunder drehte der Wind wenig später um ca. 180° und wir brausten plötzlich mit 40 km/h übers Land - Strassenbelag hin oder her. So kam es, dass bereits zur Mittagspause 60 km hinter uns lagen und wir um zwei Uhr nachmittags unser Ziel erreicht hatten. So blieb noch genügend Zeit, um die Sehenswürdigkeiten der Stadt anschauen zu können. Wo wir auch hingingen, viele drehten sich nach uns um, oder starrten uns an. Als Tourenfahrradfahrer waren wir dies normalerweise gewohnt, doch diesmal hatten wir unsere Velos nicht dabei. Wie Murat, ein einheimischer Kurde, uns später mitteilte, waren wir Europäer für die meisten Menschen hier selbst Sehenswürdigkeiten. Murat war gerade dabei Fotos zu schiessen von den verschiedenen Moscheen und Kirchen, die die Stadt zu bieten hat, sowie der zweitlängsten, historischen Mauer der Welt, die die Altstadt Diyarbakırs festungsähnlich begrenzt. Zusammen mit seiner britischen Ehefrau plant er bald ein Tourismusbüro zu eröffnen, um bereit zu sein, wenn die Massen kommen - in eine Stadt, die aufgrund der Kurdischen Aufstände bis vor zehn Jahren im Ausnahmezustand war.

Da uns das südlich von Diyarbakır gelegene Mardin bereits von verschiedenen Seiten her wärmstens empfohlen wurde, liessen wir unsere Velos einen Tag länger in der Wäscherei des Hotels Güler stehen und fuhren mit dem Minibüs nahe an die Syrische Grenze. Leider war Sonntag und der vielgerühmte, authentische Bazaar geschlossen. Trotzdem konnten wir viele neue Eindrücke in dieser uralten Stadt an der nördlichen Grenze Mesopotamiens sammeln.






Unsere nächste Tagesetappe führte uns über den Tigris durch ein einziges, riesiges Weizenfeld nach Silvan. Eigentlich wollten wir durch Silvan hindurch fahren, und etwas später zelten, doch am östlichen Stadtrand erblickten wir durch einen Zaun einen schönen englischen Rasen,  welchen wir nur ungerne uninspiziert hinter uns liessen. Wir hielten an, und sofort scharten sich ein paar Teenager um uns. Der Englische Rasen gehörte zu einem Anatolischen Gymnasium. Tobias erkundigte sich, ob wir hier eventuell über Nacht unser Zelt aufschlagen durften. Das eine ergab das andere und da der Müdür (Manager) der Schule es uns nicht erlaubte, lud uns Murat, der Sportlehrer, zu sich in sein Apartment ein, wo wir im Wohnzimmer übernachten durften. Ferhat, sein jüngerer Bruder, und er kochten uns später Hühnchen und Reis, den wir gemeinsam am Boden sitzend assen. Auch der Mathematiklehrer, der Literaturlehrer und deren Familie gesellten sich zu uns. Zum Glück war da auch Gudbeydi, der Englischlehrer, der seit unserer Ankunft unser Dolmetscher war. Murats Turnunterricht begann am nächsten Morgen um zehn Uhr, und so kochten uns die beiden Brüder noch ein türkisches Frühstück. Von unserem Müesli mit Honig und Aprikosen mochten allerdings beide nicht kosten. Yulaf ezmesi - Haferflocken war sowieso zur Seltenheit geworden und der einzige Ort, wo wir jeweils Vorräte kaufen konnten, war die türkische Variante der Migros. Einmal mehr kam es schlussendlich ganz anders, als wir dachten, und erneut kamen wir in den Genuss der scheinbar unendlichen türkischen Gastfreundschaft.

Unser nächstes Ziel war der Van Gölü, ein riesiger Bergsee etwa siebenmal so gross wie der Bodensee. Der stark alkalische, salzhaltige See, der durch einen Ausbruch des nahegelegenen Vulkans entstanden ist, hat keinen Abfluss - den Oberflächenpegel, der je nach Saison bis zu vier Meter schwankt, regelt alleine die Verdunstung. Doch der Weg zum See musste erst einmal überwunden werden. Unsere Strasse führte langsam mäandernd und gemächlich ansteigend durch ein wunderschönes Tal hinauf bis in die Bergstadt Bitlis. Auf der Strecke, die eineinhalb Tage dauerte, entkamen wir nur knapp einem Hagelsturm, scheuchten diverse Hirtenhunde weg, und tranken Tee mit kurdischen Strassenbeobachtern. Zu viert sassen sie hoch über der Strasse in ihrem Steinkabäuschen und zählten vorbeifahrende Taxis, Lastwagen und Fahrräder - tagein tagaus. Dies zumindest die offizielle Version - was sie da tatsächlich tun, ist uns bis heute ein Rätsel. Nach Bitlis musste noch eine steile Rampe überwunden werden, um nach Tatvan am See zu gelangen. So zumindest hatte Domi uns schon mehrmals gewarnt, doch die Rampe wollte und wollte nicht kommen. Stattdessen fuhren wir mit 35 km/h und Rückenwind über eine Hochebene direkt nach Tatvan, an den Van Gölü - eine gelungene Überraschung. Wir nisteten uns in der Dachetage des Hotel Dileks ein und planten unsere weitere Route. 


Vor uns lag ein "Pausentag" - nur 25 km auf den Vulkan hinauf, wo wir neben dem warmen Kratersee unser Zelt aufschlagen wollten. Ich sah dem Pausentag mit etwas gemischten Gefühlen entgegen, denn der Name des Vulkans war wieder Nemrut Dağı, und mit 2935 m.ü.M. der grössere der beiden Brüder. Glücklicherweise erleichterte der Rückenwind die wenigen schwierigen Abschnitte und nach knapp 1000 Höhenmetern hatte ich mit den Nemruts Frieden geschlossen. 


Über sandige Pisten fuhren wir hinunter zum kleineren, warmen Kratersee, der ein Stück näher lag als der grössere, kalte Kratersee. Wir malten es uns bereits seit dem Frühstück aus, wie wir den Nachmittag friedlich im Bergsee planschend verbringen wollten. Doch wurden wir bitter enttäuscht - die Temperatur betrug gerade mal 17°C. Wo waren bitte die versprochenen 30 - 60°C? 

Der Kälte zum Trotz standen Tobias und Marianne bereits halb im See, während Domi und ich immer noch diskutierten, wo wir unser Zelt aufstellen wollten. Da kam plötzlich ein Auto angefahren. Der Fahrer, Murat, grüsste uns und wir wechselten ein paar Worte. Wir beschwerten uns ein Bisschen über die leeren Versprechungen, die einem in den Reiseführern gemacht werden und er sah uns erstaunt an. "Eveeeet, sıcak su var!" - Aber ja doch, es gibt heisses Wasser! 

Und so folgten wir ihm über einen kleinen, kaum sichtbaren Trampelpfad hinunter ans Ufer, nur ca. 50 Meter weiter rechts, zu einem mit Steinmauern begrenzten Tümpel. Und tatsächlich - das Wasser war badewannenwarm. Wir machten gleich Kehrt um Tobias und Marianne zu holen, die kurz darauf zusammen mit Murat als Erste im Tümpel sassen. Domi und ich zogen uns noch rasch um, und schliesslich kuschelten wir zu Fünft in der vulkanischen Wanne und genossen die Aussicht. Am nächsten Morgen drängte es Domi und mich weiter an die iranische Grenze, während Tobias und Marianne sich entschieden noch eine weitere Nacht im Krater zu verbringen. 

So trennten sich unsere Wege, zumindest für eine kurze Dauer, denn in der Grenzstadt wollten wir uns noch einmal wiedersehen. Der Wind kam an diesem Tag aus der exakt richtigen Richtung und pustete uns über den Kraterrand hinaus, runter ans Ufer des Vansees, immer weiter und weiter, bis nach Erciş

Das Bild, welches sich uns hier bot, war ein erschreckendes: Überall zerstörte Häuser, dazwischen riesige Notwohnsiedlungen des roten Halbmondes. Rasch kam uns wieder in den Sinn, dass sich hier nur ein halbes Jahr zuvor ein schlimmes Erdbeben ereignet hatte, welches diese Stadt und die durch die Medien bekanntere Stadt Van, schwer getroffen hatte. Oft sahen wir Ruinen, die neben noch vollständig intakten Gebäuden standen. Ein Anzeichen dafür, dass die Bauvorschriften hier leider unterschiedlich gut befolgt worden sind. Im einzigen übrig gebliebenen Hotel verbrachten wir mit gemischten Gefühlen die Nacht. Bis nach Doğubayazıt waren es noch zwei Tagesetappen inklusive einer Passüberquerung und so machten wir uns früh auf den Weg. 

 

  





Wieder war der Wind auf unserer Seite und schon bald verliessen wir das Ufer des Vansees und bogen ab, in Richtung Nordosten. Obwohl landschaftlich wunderschön kamen uns die Leute hier sonderlich reserviert vor. Viele riefen uns etwas in Kurdisch zu, wovon wir meistens nur "Kurdistan" verstanden, andere schauten uns nur düster an. Kinder riefen zunehmend ein aufforderndes "Money, Money" anstatt des kecken "Hello, what is my name?" und bald schon sahen wir Steine knapp neben unseren Rädern zu Boden fallen. Hier war es uns beiden nicht mehr geheuer und Kara Ben Nemsi eilte auch nicht zur Hilfe. Ausserdem befanden wir uns direkt neben der Türkisch-Iranischen Grenze, wie die zahlreichen Grenzposten rechts oben auf den Bergen bezeugten. So fuhren wir weiter, immer weiter den Berg hinauf, bis wir schliesslich den Pass erreicht hatten. Oben war ein Schild - Doğubayazıt 30 km - und es war genau 18:00. Domis GPS zeigte die exakte Uhrzeit an, wann die Sonne untergehen würde. 

Bis 19:20 sollte das Licht noch ausreichen, um relativ sicher auf der Strasse weiterfahren zu können. Würde es noch reichen? Wir holten unsere Reserven hervor und strampelten weiter - jetzt gegen den Wind. Kurz musste Domi noch vier hartnäckige Hunde abwehren, doch schliesslich, um halb acht kamen wir in der Grenzstadt an, wo wir uns erschöpft ein sicheres Hotelzimmer nahmen, und uns zum Eurovision Song Contest etwas entspannten...
Die nächsten paar Tage wollen wir hier bleiben; unsere Kräfte sammeln für das nächste Abenteuer - den Iran. Trotz grosser Vorfreude auf den Iran, verlassen wir die Türkei nur ungern. Dieses riesige Land hat so viel zu bieten, sowohl landschaftlich als auch kulturell. Doch was uns immer in Erinnerung bleiben wird, ist die grenzenlose Gastfreundschaft der Türken. 

Çok teşekkür ederiz ve hoşça kal, Türkiye!!!

Sonntag, 27. Mai 2012

Kuckuck - wo sind wir?

Nach längerer Zeit mal wieder ein Bilderrätsel. Wir befinden uns am Fusse dieses riesigen Berges, der sich uns im Moment leider nur wolkenverhangen zeigt. Wer als erstes rausfindet, wo wir sind, kriegt wie das letzte mal eine Postkarte von hier.



Aso, ist leider nicht der Titlis in Bitlis, sieht aber fast so aus, tönt nur ganz anders. Heute mit ein bisschen weniger Wolken -  jetzt sollte es wirklich allen klar sein was das für ein Berg ist;)

Zugegeben - diesmal waren die Spielregeln ein wenig verwirrend. Der Berg ist raus, es ist der Ararat. Nur, von wo aus geniessen wir die Sicht? Extra Karte für diejenige Person, die es als erstes posted. Stadt reicht, Name des Hotels nicht unbedingt nötig...

P.S. Die GPS Daten sind natürlich noch nicht aktualisiert, das wäre ja wirklich zu einfach.

Sonntag, 20. Mai 2012

Auf den Nemrut Daği... oder Fluch des Antiochos

Nach den vielen wundersamen Eindrücken in Kappadokien, die wir zur Abwechslung zu Viert auf vier Rädern genossen haben, ging es nun weiter Richtung Osten, wo uns unser nächstes Ziel erwartete, der Nemrut Daği Naturpark. Doch bis dahin waren es noch mindestens fünf Tage und etliche Höhenmeter. Bereits am ersten Tag führte uns der Weg über einen Pass, vorbei an Hirten, Eseln und Kangal-Schäferhunden (eindeutig identifizierbar am Stachelhalsband, welches meistens bedrohlicher ist als der Hund selbst). Auf der Passhöhe diskutierten wir noch, ob wir vielleicht nicht doch schon die Regenjacke anziehen sollten, denn auf der anderen Seite des Berges war ein Gewitter im Anzug. Die ersten Tropfen fielen bereits als wir losfuhren, und während der rasanten Abfahrt bereute es niemand mehr, die vollständige Regenbekleidung angezogen zu haben. Es regnete in Strömen und der Wind peitschte uns die immer grösser werdenden Tropfen ins Gesicht. Gerade rechtzeitig, als sich die Tropfen in Hagelkörner verwandelten, fanden wir einen schützenden Unterstand. Den restlichen Tag verbrachten wir dann mit stetigem An- und Ausziehen der Regenbekleidung und schafften es gerade bis nach Develi, wo wir uns ein Hotelzimmer nahmen. Nach vier Nächten im Zelt und unbeständigem Wetter waren alle sehr rasch und Domi rasch von dieser Idee überzeugt. 

Mit dem Erciyes Daği im Rücken fuhren wir anderntags weiter durch eine Landschaft, die ebenso gut in der Mongolei hätte sein können. Weitreichende Steppen, in der Ferne begrenzt von Hügelzügen und schneebedeckten Bergen. Über einen dieser Berge führte unser Weg; die Passstrasse allerdings lag noch in weiter Ferne. Als wir in einem kleinen Dörfchen neuen Proviant einkauften, sammelte sich wie gewöhnlich eine Handvoll neugieriger Türken um uns herum. Einer wollte uns nicht gehen lassen, ohne dass wir von seinem Karottensaft gekostet hätten - dieser verleihe uns genügend Energie für die Weiterfahrt! Wir konnten nicht nein sagen und so fuhren wir gestärkt weiter den Berg hinauf, und vielleicht war es der Karottensaft, der uns diesmal dem nahenden Gewitter entkommen liess. 

Nach zehn Kilometer Baustelle erreichten wir den bisher höchsten Punkt auf unserer Tour - 1990 m.ü.M. auf dem Gezbeli Pass. Der Wind liess nur eine kurze Verweilpause zu, und so rollten wir runter ins Tal, wo wir bei einem Brunnen von einem freundlichen Türken sofort zum Çay eingeladen wurden. Seine Mutter, die auf der Terrasse den Spätnachmittag genoss, beschwerte sich mehrfach bei Allah, dass ihr seltener Besuch nicht so gut Türkisch sprach, und ihr Gehör auch nicht mehr das Beste war und eine Unterhaltung somit noch schwieriger war als sonst, jetzt wo sie doch schon einmal Besuch hatte! Ihr Sohn liess das mehr oder weniger kalt und er begnügte sich auch nicht mit den mittlerweile einfachen Fragen an uns woher wir kamen und wohin wir gingen (das mit dem verheiratet sein, hatte die Mutter vorher geklärt), sondern er stieg gleich ein bei Level 2 - Politik und Wirtschaft. Unser Türkisch reichte da bei weitem nicht aus, und so zeigten wir ihm mit Händen und Füssen was wir von der Abwahl Sarkozys und der amerikanischen Regierung (Bush bzw. Obama) hielten. Als die Gesprächsthemen schliesslich erschöpft waren, verabschiedeten wir uns und fuhren weiter. Unterwegs fiel Domi noch fast vom Velo, weil er eine Bienenfresser Kolonie gesichtet hatte. Wie wir später von einem deutschen Hobbyornithologen erfuhren, sind diese in der Schweiz so seltenen, farbenfrohen Vögel in der Türkei in Scharen anzutreffen. 

Bald schon verschwand die Sonne hinter den Bergen, und für uns war es an der Zeit ein Zeltplätzchen zu finden. Wir entschieden uns gegen die Wiese mit Stier und für die Bergkuppe mit Starkstromleitung. Während Tobias und Domi sich bereit erklärten im Tal Wasser zu holen, räumten Marianne und ich Steine weg und gruben Disteln aus, um die Zelte vernünftig aufstellen zu können. Als das Zelt stand, bemerkten wir, dass die Zeltstangen und Heringe vibrierten - gleichmässig, wie das Surren der Starkstromleitung. Als wir dann noch die herannahenden Gewitterwolken sahen, waren wir beide nicht mehr so sicher, ob wir den Zeltplatz noch so toll fanden, und warteten auf die Männer um dies zu diskutieren. Sie konnten uns leider auch nicht wirklich beruhigen, und Tobias musste seinem Kollegen aus der ABB eine SMS schreiben, um zu fragen, wie sicher es sei, in einem Gewitter unter einer Starkstromleitung zu campieren. Die Antwort kam rasch: Dort sei es sicherer als auf freiem Feld, ausser: 1. Man befinde sich direkt unter einem Strommasten (Check) und 2. zusätzliche Gefahr herrsche bei felsigem Untergrund wegen der Schrittspannung (Check). Zum Glück liess uns das Gewitter in Ruhe und ein strahlend schöner Sternenhimmel erschien über unseren Köpfen. Ausserdem hatten wir ja Isoliermätteli dabei, da hätte eh nichts passieren können... 

Ausgeruht (Marianne zwar mit Nackenschmerzen - siehe www.velosophie.ch) freuten wir uns auf die Abfahrt nach Kahramanmaras, die Stadt der Eiscremes. Diese köstlichen Dondurma, wie sie hier genannt werden, bestehen aus nichts weiterem als Schafsmilch, Zucker und Salep (gepulverte Orchideenwurzel) und sind so gummig, dass sie auch bei stärkster Nachmittagssonne kaum schmelzen. Da der Orchideenbestand in der Türkei aufgrund der Dondurma-Produktion stetig sinkt, ist es verboten, Salep-Pulver aus der Türkei zu exportieren. Dies war Grund genug, gleich noch eine zweite zu bestellen und am Abend zum Dessert nochmals eine zu essen, und fürs Fotoshooting am nächsten Morgen gab´s noch eine letzte Portion. Mit vollem Bauch ging´s dann weiter Richtung Nemrut

Marianne, ich und die "Kinderfabrik"
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als wir am Strassenrand hielten, um Wasser nachzufüllen. Da kam eine ältere Frau aus dem Häuschen an der Strasse zu uns her, um uns auf einen Çay einzuladen. Wir nahmen die Einladung gerne an und folgten ihr über ein intensiv nach Kamille duftendes Wieschen in einen kleinen Garten, der etwas versteckt hinter Aprikosenbäumen und Rosensträuchern lag - ein Paradies. Die Frau stellte uns dann nacheinander ihren Ehemann, ihren Sohn und ihre Schwiegertochter vor, bei denen sie zur Zeit zu Besuch waren. Es war Anneler Gün - Muttertag. Wir wurden zu Tisch gebeten, und die Schwiegertochter und die Männer verschwanden im Haus um Tee zu kochen. Kurze Zeit später fanden wir den Tisch reich gedeckt mit selbstgemachtem Joghurt, Konfitüren, Oliven, gefüllten Weinblättern, frischem Brot, Käse, Börek - und für jeden das obligate Gläschen Çay vor. Wir protestierten, weil wir ja nur einen Çay erwartet hatten, aber sie wollten nichts davon hören, und fanden, dass wir schliesslich noch Energie brauchten um bis nach Gölbaşi zu kommen. Alles sah so gut aus, da konnten wir uns nicht länger zurückhalten. Obwohl wir gerade erst gefrühstückt hatten, war unser Appetit schon wieder gross, und die Anne, die während wir assen jede Menge Telefonanrufe von ihren Kindern erhielt, begann jedes Gespräch mit "Yemek yok" - zu Essen gibt es nichts mehr, und lachte dabei herzlich. Der Mittelpunkt dieses Morgens war immer diese lustige, alte Frau, die von ihrem Ehegatten liebevoll als Çocuk fabrikazı (Kinderfabrik) betitelt wurde, denn schliesslich hatte sie ganze neun Kinder zur Welt gebracht. Zum Abschied gab´s dann noch für jeden frische Erdbeeren aus dem Garten und eine rote Rose (die Damen erhielten gleich zwei) zum Anstecken. Berührt und mit lachenden Herzen fuhren wir weiter. 

Mittagspause machten wir erst um halb Fünf in einem kleinen Restaurant voller Muselmänner, und fuhren anschliessend die letzten Kilometer nach Gölbaşi. Dort wollten wir noch Proviant einkaufen und wurden sofort umzingelt von Kindern und der männlichen Dorfbevölkerung. Einer ging direkt auf Tobias zu und fragte ihn in gebrochenem Deutsch, woher wir seien. Es stellte sich heraus, dass Öskar, wie er hiess, in Buchs SG vor 20 Jahren im Bahnhofbuffet gearbeitet hatte, und sogar gemeinsame Bekannte mit Marianne und Tobias hatte. Öskar war sehr traurig darüber, nicht mehr in der Schweiz arbeiten zu können, vergebens bewarb er sich um eine Verlängerung des Visums. In der Türkei fand er auch keine Arbeit mehr und wurde von Freunden und seiner Familie verstossen, weil er sich in den vier Jahren Schweiz zu stark verändert hatte, und der schönen Türkei den Rücken kehrte. Er wandte sich vom Islam ab und passte seine Gewohnheiten denjenigen der Schweizer an. Immer noch, vielleicht auch aus Wehmut, isst er jeden Morgen "Butter und Konfi" mit Brot anstelle der hier üblichen Gurken, Tomaten, Oliven und Käse. 

Öskar zeigte uns ein schönes Plätzchen zum Zelten und wir luden ihn zu uns ein zu Kaffee und Picknick. Diese Einladung nahm er gerne an, und er erzählte noch ein wenig länger von den guten alten Zeiten in der Schweiz. Am andern Morgen kam er dann noch einmal vorbei, um zu fragen, ob wir gut geschlafen hätten und sich von uns zu verabschieden. Wir packten unsere sieben Sachen und fuhren weiter in Richtung Nemrut. Heute wollten wir es bis an den Fuss des Berges schaffen, damit wir dann am nächsten Tag nur noch den Anstieg zum Gipfel vor uns hatten. Die Sonne schien kräftig und wir taten nichts anderes als stetig treten und tropfen. 

Zur Mittagszeit hielten wir in einem kleinen Dörfchen bei einem Kebap Salonu an und erfrischten uns an einem kühlen Ayran und assen Tavuk Döner. Von Gökan, dem Besitzer des Salons erfuhren wir, dass das Dörfchen zur Hälfte aus Türken und zur Hälfte aus Kurden bestand. "We live together!" betonte er stolz. Als sich dann ein älterer Herr zu uns an den Tisch gesellte, meinte Gökan, dass wir diesen unbedingt fotografieren sollten - es handelte sich schliesslich um Hüsseyn, den letzten Seldschuken des Dorfes. Kebapgesättigt fuhren wir eine Weile weiter, und erkundigten uns nach schönen Zeltplätzchen. Langsam bemerkten wir aber, dass unsere Türkischkenntnisse mehr und mehr schwanden. Oder waren es die Leute, die nicht mehr Türkisch sprachen? Auch die Umgebung hatte sich verändert. Plötzlich sah man öfters Bauern, die anstatt mit dem Traktor, mit einem Esel oder einem Fuhrwerk unterwegs waren. Ein Blick auf die Türkeikarte zeigte uns - wir waren in der berühmt berüchtigten Osttürkei angelangt. Waren wir hier sicher? Wie steht es zur Zeit um die Kurdenfrage? 

Es blieb uns nichts anderes übrig, als uns Tritt um Tritt vor zu wagen in diese touristisch weniger erschlossene Region der Türkei. Es ging auch gar nicht lange, wurden wir von einem Polizeiauto angehalten. Am Strassenrand warteten wir geduldig, was der Beamte mit uns vor hatte. "Hoş geldiniz!" (Willkommen!) rief uns der Polizist streng zu, was schon mal nicht schlecht war, bis Domi die Grussformel mit einem "Hoş Bulgur!" anstatt korrekterweise mit Hoş bulduk! erwiderte. Doch der Polizist schien es überhört zu haben, und schon bald stellte sich heraus, dass er an uns wie so viele zuvor, nur seine Englischkenntnisse ausprobieren wollte. Kurz darauf fanden wir schliesslich ein wunderschönes Zeltplätzchen an einem kleinen Dorfsee. Leider fand uns das Dorf fünf Minuten später ebenfalls und mit der idyllischen Ruhe war es vorbei. 

Auch hier verstanden wir die Bevölkerung kaum noch, aber der kurdische Widerstand schien sich zumindest in dieser Region etwas beruhigt zu haben, denn die frechsten der Kindermeute waren laut eigenen Angaben "50% Kurdish - 50% Turkish". Am nächsten Morgen wollten wir früh los, zum einen, um wenigstens unser Frühstück in aller Ruhe einnehmen zu können, und zum andern, um rechtzeitig auf dem Nemrut Gipfel anzukommen, so dass wir eventuell noch ein paar Fotos bei Sonnenuntergang schiessen konnten. 
Unterwegs machten wir Halt bei verschiedenen Sehenswürdigkeiten im Nemrut Naturpark,  bevor wir nach dem Mittagessen den steilen Anstieg zum Gipfel in Angriff nahmen. Die Sonne brannte, während wir uns im Schritttempo den Berg hinauf quälten. Die Schotterstrasse wand sich immer steiler und steiler den Berg hinauf und mit meinen Kräften ging es mehr und mehr bergab. In einer Kurve ging ich nur kurz aus dem Sattel, was ein kapitaler Fehler war, denn sofort verlor ich die Kontrolle über das Velo und stürzte (diesmal unsanft) zu Boden. Ich war mit meinen Kräften am Ende und es waren noch mehr als 500 Höhenmeter zu überwinden. Eine Weile versuchte ich noch das Fahrrad zu schieben, aber auch dies ging immer schlechter und ich musste mir wohl oder übel eingestehen, dass ich diesen Berg nicht ohne Hilfe schaffen würde. 

Tobias, Marianne und Domi hatten zum Glück noch genügend Energie in den Beinen und nahmen mir einen Teil meines Gepäcks ab. So schafften wir es zu Viert den Berg hinauf und wurden auf dem Gipfel von applaudierenden Touristen herzlich in Empfang genommen. Der Kurdische Teestubenbesitzer auf dem Berg lud uns daraufhin bei sich zum Abendessen ein und liess uns unser Zelt unter seinem windgeschützten Balkon aufstellen. Erschöpft hüllten wir uns in unsere Schlafsäcke ein und warteten auf das Morgengrauen um das letzte Stück bis zum Gipfel zu Fuss zurückzulegen. Dort erwartete uns das 2000 Jahre alte Grab von König Antiochos I. mit einer künstlich aufgetürmten, 50 Meter hohen Bergspitze - eines der UNESCO Weltkulturerbe der Türkei. Die imposanten Steinköpfe auf dem Gipfel, die das Grab schmücken, sollen bei Sonnenaufgang am schönsten sein. Regenwetter und Wind sei Dank, durften wir noch etwas länger liegen bleiben, denn aus der schönen Morgenstimmung auf dem Berg wäre bei dem Wetter nichts geworden. Zeus, Antiochos und Co. waren zum Glück auch etwas später noch wunderschön und das atemberaubende Panorama liess die gestrigen Strapazen in den Hintergrund rücken. Wir assen  unser Frühstück und rollten dann einige Kilometer hinunter ins nächste Bergdorf, wo wir uns den wohl verdienten Ruhetag gönnten.