Nach den vielen wundersamen
Eindrücken in Kappadokien, die wir zur Abwechslung zu Viert auf vier Rädern
genossen haben, ging es nun weiter Richtung Osten, wo uns unser nächstes Ziel
erwartete, der Nemrut Daği Naturpark. Doch bis dahin waren
es noch mindestens fünf Tage und etliche Höhenmeter. Bereits am ersten Tag
führte uns der Weg über einen Pass, vorbei an Hirten, Eseln und
Kangal-Schäferhunden (eindeutig identifizierbar am Stachelhalsband, welches
meistens bedrohlicher ist als der Hund selbst). Auf der Passhöhe diskutierten
wir noch, ob wir vielleicht nicht doch schon die Regenjacke anziehen sollten,
denn auf der anderen Seite des Berges war ein Gewitter im Anzug. Die ersten
Tropfen fielen bereits als wir losfuhren, und während der rasanten Abfahrt
bereute es niemand mehr, die vollständige Regenbekleidung angezogen zu haben.
Es regnete in Strömen und der Wind peitschte uns die immer grösser werdenden
Tropfen ins Gesicht. Gerade rechtzeitig, als sich die Tropfen in Hagelkörner
verwandelten, fanden wir einen schützenden Unterstand. Den restlichen Tag verbrachten
wir dann mit stetigem An- und Ausziehen der Regenbekleidung und schafften es
gerade bis nach Develi, wo wir uns
ein Hotelzimmer nahmen. Nach vier Nächten im Zelt und unbeständigem Wetter
waren alle sehr rasch und Domi rasch von dieser Idee überzeugt.
Mit dem Erciyes Daği
im Rücken fuhren wir anderntags weiter durch eine Landschaft, die ebenso
gut in der Mongolei hätte sein können. Weitreichende Steppen, in der Ferne
begrenzt von Hügelzügen und schneebedeckten Bergen. Über einen dieser Berge
führte unser Weg; die Passstrasse allerdings lag noch in weiter Ferne. Als wir
in einem kleinen Dörfchen neuen Proviant einkauften, sammelte sich wie
gewöhnlich eine Handvoll neugieriger Türken um uns herum. Einer wollte uns
nicht gehen lassen, ohne dass wir von seinem Karottensaft gekostet hätten -
dieser verleihe uns genügend Energie für die Weiterfahrt! Wir konnten nicht nein
sagen und so fuhren wir gestärkt weiter den Berg hinauf, und vielleicht war es
der Karottensaft, der uns diesmal dem nahenden Gewitter entkommen liess.
Nach
zehn Kilometer Baustelle erreichten wir den bisher höchsten Punkt auf unserer
Tour - 1990 m.ü.M. auf dem Gezbeli
Pass. Der Wind liess nur eine kurze Verweilpause zu, und so rollten wir runter
ins Tal, wo wir bei einem Brunnen von einem freundlichen Türken sofort zum Çay eingeladen wurden. Seine
Mutter, die auf der Terrasse den Spätnachmittag genoss, beschwerte sich
mehrfach bei Allah, dass ihr seltener Besuch nicht so gut Türkisch sprach, und
ihr Gehör auch nicht mehr das Beste war und eine Unterhaltung somit noch
schwieriger war als sonst, jetzt wo sie doch schon einmal Besuch hatte! Ihr
Sohn liess das mehr oder weniger kalt und er begnügte sich auch nicht mit den
mittlerweile einfachen Fragen an uns woher wir kamen und wohin wir gingen (das
mit dem verheiratet sein, hatte die Mutter vorher geklärt), sondern er stieg
gleich ein bei Level 2 - Politik und Wirtschaft. Unser Türkisch reichte da bei
weitem nicht aus, und so zeigten wir ihm mit Händen und Füssen was wir von der
Abwahl Sarkozys und der amerikanischen Regierung (Bush bzw. Obama) hielten. Als
die Gesprächsthemen schliesslich erschöpft waren, verabschiedeten wir uns und fuhren
weiter. Unterwegs fiel Domi noch fast vom Velo, weil er eine Bienenfresser
Kolonie gesichtet hatte. Wie wir später von einem deutschen Hobbyornithologen
erfuhren, sind diese in der Schweiz so seltenen, farbenfrohen Vögel in der
Türkei in Scharen anzutreffen.
Bald schon verschwand die Sonne hinter den
Bergen, und für uns war es an der Zeit ein Zeltplätzchen zu finden. Wir
entschieden uns gegen die Wiese mit Stier und für die Bergkuppe mit
Starkstromleitung. Während Tobias und Domi sich bereit erklärten im Tal Wasser
zu holen, räumten Marianne und ich Steine weg und gruben Disteln aus, um die
Zelte vernünftig aufstellen zu können. Als das Zelt stand, bemerkten wir, dass
die Zeltstangen und Heringe vibrierten - gleichmässig, wie das Surren der
Starkstromleitung. Als wir dann noch die herannahenden Gewitterwolken sahen,
waren wir beide nicht mehr so sicher, ob wir den Zeltplatz noch so toll fanden,
und warteten auf die Männer um dies zu diskutieren. Sie konnten uns leider auch
nicht wirklich beruhigen, und Tobias musste seinem Kollegen aus der ABB eine SMS
schreiben, um zu fragen, wie sicher es sei, in einem Gewitter unter einer
Starkstromleitung zu campieren. Die Antwort kam rasch: Dort sei es sicherer als
auf freiem Feld, ausser: 1. Man befinde sich direkt unter einem Strommasten
(Check) und 2. zusätzliche Gefahr herrsche bei felsigem Untergrund wegen der
Schrittspannung (Check). Zum Glück liess uns das Gewitter in Ruhe und ein
strahlend schöner Sternenhimmel erschien über unseren Köpfen. Ausserdem hatten
wir ja Isoliermätteli dabei, da hätte eh nichts passieren können...
Ausgeruht
(Marianne zwar mit Nackenschmerzen - siehe www.velosophie.ch) freuten wir uns
auf die Abfahrt nach Kahramanmaras,
die Stadt der Eiscremes. Diese köstlichen Dondurma,
wie sie hier genannt werden, bestehen aus nichts weiterem als Schafsmilch,
Zucker und Salep (gepulverte
Orchideenwurzel) und sind so gummig, dass sie auch bei stärkster
Nachmittagssonne kaum schmelzen. Da der Orchideenbestand in der Türkei aufgrund
der Dondurma-Produktion stetig sinkt,
ist es verboten, Salep-Pulver aus der
Türkei zu exportieren. Dies war Grund genug, gleich noch eine zweite zu
bestellen und am Abend zum Dessert nochmals eine zu essen, und fürs
Fotoshooting am nächsten Morgen gab´s noch eine letzte Portion. Mit vollem
Bauch ging´s dann weiter Richtung Nemrut.
Marianne, ich und die "Kinderfabrik" |
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als wir am Strassenrand hielten, um
Wasser nachzufüllen. Da kam eine ältere Frau aus dem Häuschen an der Strasse zu
uns her, um uns auf einen Çay
einzuladen. Wir nahmen die Einladung gerne an und folgten ihr über ein intensiv
nach Kamille duftendes Wieschen in einen kleinen Garten, der etwas versteckt
hinter Aprikosenbäumen und Rosensträuchern lag - ein Paradies. Die Frau stellte
uns dann nacheinander ihren Ehemann, ihren Sohn und ihre Schwiegertochter vor,
bei denen sie zur Zeit zu Besuch waren. Es war Anneler Gün - Muttertag. Wir wurden zu Tisch gebeten, und die
Schwiegertochter und die Männer verschwanden im Haus um Tee zu kochen. Kurze
Zeit später fanden wir den Tisch reich gedeckt mit selbstgemachtem Joghurt,
Konfitüren, Oliven, gefüllten Weinblättern, frischem Brot, Käse, Börek - und für jeden das obligate
Gläschen Çay vor. Wir protestierten,
weil wir ja nur einen Çay
erwartet hatten, aber sie wollten nichts davon hören, und fanden, dass wir
schliesslich noch Energie brauchten um bis nach Gölbaşi zu kommen. Alles sah so
gut aus, da konnten wir uns nicht länger zurückhalten. Obwohl wir gerade erst
gefrühstückt hatten, war unser Appetit schon wieder gross, und die Anne, die während wir assen jede Menge
Telefonanrufe von ihren Kindern erhielt, begann jedes Gespräch mit "Yemek yok" - zu Essen gibt es
nichts mehr, und lachte dabei herzlich. Der Mittelpunkt dieses Morgens war
immer diese lustige, alte Frau, die von ihrem Ehegatten liebevoll als Çocuk fabrikazı
(Kinderfabrik) betitelt wurde,
denn schliesslich hatte sie ganze neun Kinder zur Welt gebracht. Zum Abschied
gab´s dann noch für jeden frische Erdbeeren aus dem Garten und eine rote Rose
(die Damen erhielten gleich zwei) zum Anstecken. Berührt und mit lachenden Herzen
fuhren wir weiter.
Mittagspause machten wir erst um halb Fünf in einem kleinen
Restaurant voller Muselmänner, und fuhren anschliessend die letzten Kilometer
nach Gölbaşi.
Dort wollten wir noch Proviant einkaufen und wurden sofort umzingelt von
Kindern und der männlichen Dorfbevölkerung. Einer ging direkt auf Tobias zu und
fragte ihn in gebrochenem Deutsch, woher wir seien. Es stellte sich heraus,
dass Öskar, wie er hiess, in Buchs SG vor 20 Jahren im Bahnhofbuffet gearbeitet
hatte, und sogar gemeinsame Bekannte mit Marianne und Tobias hatte. Öskar war
sehr traurig darüber, nicht mehr in der Schweiz arbeiten zu können, vergebens
bewarb er sich um eine Verlängerung des Visums. In der Türkei fand er auch
keine Arbeit mehr und wurde von Freunden und seiner Familie verstossen, weil er
sich in den vier Jahren Schweiz zu stark verändert hatte, und der schönen
Türkei den Rücken kehrte. Er wandte sich vom Islam ab und passte seine
Gewohnheiten denjenigen der Schweizer an. Immer noch, vielleicht auch aus
Wehmut, isst er jeden Morgen "Butter und Konfi" mit Brot anstelle der
hier üblichen Gurken, Tomaten, Oliven und Käse.
Öskar zeigte uns ein schönes
Plätzchen zum Zelten und wir luden ihn zu uns ein zu Kaffee und Picknick. Diese
Einladung nahm er gerne an, und er erzählte noch ein wenig länger von den guten
alten Zeiten in der Schweiz. Am andern Morgen kam er dann noch einmal vorbei,
um zu fragen, ob wir gut geschlafen hätten und sich von uns zu verabschieden.
Wir packten unsere sieben Sachen und fuhren weiter in Richtung Nemrut. Heute wollten wir es bis an den
Fuss des Berges schaffen, damit wir dann am nächsten Tag nur noch den Anstieg
zum Gipfel vor uns hatten. Die Sonne schien kräftig und wir taten nichts
anderes als stetig treten und tropfen.
Zur Mittagszeit hielten wir in einem kleinen
Dörfchen bei einem Kebap Salonu an
und erfrischten uns an einem kühlen Ayran
und assen Tavuk Döner. Von Gökan,
dem Besitzer des Salons erfuhren wir, dass das Dörfchen zur Hälfte aus Türken
und zur Hälfte aus Kurden bestand. "We
live together!" betonte er stolz. Als sich dann ein älterer Herr zu
uns an den Tisch gesellte, meinte Gökan, dass wir diesen unbedingt
fotografieren sollten - es handelte sich schliesslich um Hüsseyn, den letzten
Seldschuken des Dorfes. Kebapgesättigt fuhren wir eine Weile weiter, und
erkundigten uns nach schönen Zeltplätzchen. Langsam bemerkten wir aber, dass
unsere Türkischkenntnisse mehr und mehr schwanden. Oder waren es die Leute, die
nicht mehr Türkisch sprachen? Auch die Umgebung hatte sich verändert. Plötzlich
sah man öfters Bauern, die anstatt mit dem Traktor, mit einem Esel oder einem
Fuhrwerk unterwegs waren. Ein Blick auf die Türkeikarte zeigte uns - wir waren
in der berühmt berüchtigten Osttürkei angelangt. Waren wir hier sicher? Wie
steht es zur Zeit um die Kurdenfrage?
Es blieb uns nichts anderes übrig, als
uns Tritt um Tritt vor zu wagen in diese touristisch weniger erschlossene
Region der Türkei. Es ging auch gar nicht lange, wurden wir von einem
Polizeiauto angehalten. Am Strassenrand warteten wir geduldig, was der Beamte
mit uns vor hatte. "Hoş geldiniz!" (Willkommen!) rief
uns der Polizist streng zu, was schon mal nicht schlecht war, bis Domi die
Grussformel mit einem "Hoş Bulgur!" anstatt
korrekterweise mit Hoş bulduk! erwiderte. Doch der Polizist schien es überhört zu haben, und schon bald
stellte sich heraus, dass er an uns wie so viele zuvor, nur seine Englischkenntnisse
ausprobieren wollte. Kurz darauf fanden wir schliesslich ein
wunderschönes Zeltplätzchen an einem kleinen Dorfsee. Leider fand uns das Dorf
fünf Minuten später ebenfalls und mit der idyllischen Ruhe war es vorbei.
Auch
hier verstanden wir die Bevölkerung kaum noch, aber der kurdische Widerstand
schien sich zumindest in dieser Region etwas beruhigt zu haben, denn die
frechsten der Kindermeute waren laut eigenen Angaben "50% Kurdish - 50%
Turkish". Am nächsten Morgen wollten wir früh los, zum einen, um
wenigstens unser Frühstück in aller Ruhe einnehmen zu können, und zum andern,
um rechtzeitig auf dem Nemrut Gipfel
anzukommen, so dass wir eventuell noch ein paar Fotos bei Sonnenuntergang
schiessen konnten.
Unterwegs machten wir Halt bei verschiedenen
Sehenswürdigkeiten im Nemrut
Naturpark, bevor wir nach dem
Mittagessen den steilen Anstieg zum Gipfel in Angriff nahmen. Die Sonne brannte,
während wir uns im Schritttempo den Berg hinauf quälten. Die Schotterstrasse wand
sich immer steiler und steiler den Berg hinauf und mit meinen Kräften ging es mehr
und mehr bergab. In einer Kurve ging ich nur kurz aus dem Sattel, was ein
kapitaler Fehler war, denn sofort verlor ich die Kontrolle über das Velo und
stürzte (diesmal unsanft) zu Boden. Ich war mit meinen Kräften am Ende und es
waren noch mehr als 500 Höhenmeter zu überwinden. Eine Weile versuchte ich noch
das Fahrrad zu schieben, aber auch dies ging immer schlechter und ich musste
mir wohl oder übel eingestehen, dass ich diesen Berg nicht ohne Hilfe schaffen
würde.
Tobias, Marianne und Domi hatten zum Glück noch genügend Energie in den
Beinen und nahmen mir einen Teil meines Gepäcks ab. So schafften wir es zu Viert
den Berg hinauf und wurden auf dem Gipfel von applaudierenden Touristen
herzlich in Empfang genommen. Der Kurdische Teestubenbesitzer auf dem Berg lud
uns daraufhin bei sich zum Abendessen ein und liess uns unser Zelt unter seinem
windgeschützten Balkon aufstellen. Erschöpft hüllten wir uns in unsere
Schlafsäcke ein und warteten auf das Morgengrauen um das letzte Stück bis zum
Gipfel zu Fuss zurückzulegen. Dort erwartete uns das 2000 Jahre alte Grab von
König Antiochos I. mit einer künstlich aufgetürmten, 50 Meter hohen Bergspitze
- eines der UNESCO Weltkulturerbe der Türkei. Die imposanten Steinköpfe auf dem
Gipfel, die das Grab schmücken, sollen bei Sonnenaufgang am schönsten sein. Regenwetter
und Wind sei Dank, durften wir noch etwas länger liegen bleiben, denn aus der
schönen Morgenstimmung auf dem Berg wäre bei dem Wetter nichts geworden. Zeus,
Antiochos und Co. waren zum Glück auch etwas später noch wunderschön und das
atemberaubende Panorama liess die gestrigen Strapazen in den Hintergrund
rücken. Wir assen unser Frühstück und
rollten dann einige Kilometer hinunter ins nächste Bergdorf, wo wir uns den
wohl verdienten Ruhetag gönnten.
Ooooo hellös zämä, mir gfaut eifach scho wieder dr bärg am beschte. Pass tönt aber o prima. Bi hüt wieder mau es renne gfahre. Ir nöchi vo leipzig. Super wärtter und e 37er schnitt. Es paar chöi eifach nid so velo fahre und hei de aube ide enge kurve müäh hehe. Liäbä gruäß chrigu
AntwortenLöschenHoi zämme
AntwortenLöschen"Du kommst als Fremder und gehst als Freund" so wird ja die Türkische Gastfreundschaft beschrieben. Aber das, was ihr da schildert ist ja wohl kaum mehr zu topen...!? Wie müssen wir (Schweizer) wohl den Türkischen Gastarbeitern vorkommen? Und doch scheint es Öskar bei uns gefallen zu haben.
Ich hab mal wieder herzlich gelacht, liebe Janine, und mir Domis "raschen Entscheid" zur Zimmerbuchung ausmalen können...Auch die frustrierte Türkische Mutter, die nichts verstand, konnte ich mir dank deinem farbigen Bericht lebhaft vorstellen.
Übrigens: Ich habe gar nicht gewusst, dass dich Insider "Jane" nennen. Wenn ich mir Domi so als Tarzan vorstelle.... :-)
Lieber Domi, das was du da isst, scheint dich nicht wirklich zu überzeugen ;) Was ist das?
Weitere herzerwärmende Begegnungen, unvergessliche Bilder und Grund zum Lachen wünsche ich euch auf der Weiterfahrt. Häbet Sorg! M.
Helölelele Zämä,
AntwortenLöschenmir gfaut doch no öppis anders aus dr bärg. ds yb-velodress! bravo.
liäbä gruäss
chrigu
Halo zäme.
AntwortenLöschenHen der, drei Soudate öpe e chli chaut gha. Weder rüdig schöni Böuder, aber die Stross of dä
Pass ue,das esch jo fascht nor Schotter, de send jo öisi Waudstrosse no besser.
E liebe Gruess ond Velo heil
Feleiz
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