Unseren Ruhetag in Karadut verbrachten wir vorwiegend im
Teegärtchen sitzend, Glace schleckend und unsere Seelen baumeln lassend. Auch
ein kurzes Interview für den lokalen Fernsehsender ASU TV konnte uns nicht aus
der Ruhe bringen. Richtig erholt von den Strapazen am Nemrut, schwangen wir uns auf die Räder und fuhren weiter ostwärts.
Unseren Blick liessen wir immer wieder in die Ferne schweifen auf die
unzähligen Seitenarme des Euphrats, die als Folge des gigantischen Atatürk
Staudamms entstanden sind und mehr als 50´000 Einwohner zur Umsiedlung zwangen.
Das riesige Stauwehr produziert ungefähr ein Zehntel der elektrischen Energie
der Türkei. Gegen Mittag durften wir unsere Velos dann auf eine Fähre verladen,
die uns über den Euphrat transportierte. Während wir auf den Kahn warteten,
machte Domi Bekanntschaft mit dem erfolgreichsten türkischen Ornithologen (mehr
als 450 verschiedene Vogelarten hat er in der Türkei bereits gesichtet). Er
machte uns auch auf den einsamen Gänsegeier aufmerksam, der hoch über unseren
Köpfen elegant durch die Lüfte kreiste - weit weg von allen Flötenschnitzern der Welt...
Unser Mittagessen auf der anderen Seite des Flusses bestand
dann aus 4 x 3 Toastsandwiches mit Käse und Wurst. Der Budenbesitzer
staunte nicht schlecht und freute sich, dass er dank uns nimmersatten
Velofahrern seinen Tagesumsatz innerhalb einer knappen Stunde bereits
einkassiert hatte. Wir verliessen die hügelige Umgebung des Euphrats und fanden
uns wenig später in einer steppenähnlichen Landschaft wieder, wo nur wir und
ein paar Hirten und Schafe anzutreffen waren. Das kurdische Städtchen Siverek lag genau in Tagesdistanz
entfernt, und so suchten wir uns dort ein günstiges Hotel. Keiner hatte das von
Westen herannahende Gewitter bemerkt, und wenig später waren wir alle heilfroh,
nicht im Zelt übernachten zu müssen. Stattdessen gönnten wir uns ein
schmackhaftes Abendessen in einer alten Karavanserei. Unser freundliche
"Privat-Kellner" führte uns danach noch in den oberen Stock, in eine
Bar mit türkischer Live-Musik. Nach einem Bierchen begleitete uns unser Kellner
vor die Bühne, wo wir beim Halay mittanzen durften, alle in einer
Reihe, links und rechts mit den kleinen Fingern eingehakt (Autsch!), drei
Schritte vor, drei Schritte zurück. Das war ziemlich einfach. Beim
Stakkatoknieausrenkerhüftzuck-Tanz mussten wir dann leider passen.
Frühmorgens fuhren wir dann von Siverek weiter in Richtung Diyarbakır,
durch eine scheinbar endlose, öde Steinwüste. Der starke Gegenwind und der
schlechte Strassenbelag zwang uns zu 10-12 km/h und die Stimmung nahm rapide
ab. Doch wie durch ein Wunder drehte der Wind wenig später um ca. 180° und wir
brausten plötzlich mit 40 km/h übers Land - Strassenbelag hin oder her. So kam
es, dass bereits zur Mittagspause 60 km hinter uns lagen und wir um zwei Uhr
nachmittags unser Ziel erreicht hatten. So blieb noch genügend Zeit, um die
Sehenswürdigkeiten der Stadt anschauen zu können. Wo wir auch hingingen, viele
drehten sich nach uns um, oder starrten uns an. Als Tourenfahrradfahrer waren
wir dies normalerweise gewohnt, doch diesmal hatten wir unsere Velos nicht
dabei. Wie Murat, ein einheimischer Kurde, uns später mitteilte, waren wir
Europäer für die meisten Menschen hier selbst Sehenswürdigkeiten. Murat war
gerade dabei Fotos zu schiessen von den verschiedenen Moscheen und Kirchen, die
die Stadt zu bieten hat, sowie der zweitlängsten, historischen Mauer der Welt,
die die Altstadt Diyarbakırs festungsähnlich begrenzt.
Zusammen mit seiner britischen Ehefrau plant er bald ein Tourismusbüro zu
eröffnen, um bereit zu sein, wenn die Massen kommen - in eine Stadt, die aufgrund
der Kurdischen Aufstände bis vor zehn Jahren im Ausnahmezustand war.
Da uns das südlich von Diyarbakır
gelegene Mardin bereits von
verschiedenen Seiten her wärmstens empfohlen wurde, liessen wir unsere Velos
einen Tag länger in der Wäscherei des Hotels Güler stehen und fuhren mit dem Minibüs nahe an die Syrische Grenze.
Leider war Sonntag und der vielgerühmte, authentische Bazaar geschlossen. Trotzdem konnten wir viele neue Eindrücke in
dieser uralten Stadt an der nördlichen Grenze Mesopotamiens sammeln.
Unsere nächste Tagesetappe führte
uns über den Tigris durch ein einziges, riesiges Weizenfeld nach Silvan. Eigentlich wollten wir durch Silvan hindurch fahren, und etwas später
zelten, doch am östlichen Stadtrand erblickten wir durch einen Zaun einen
schönen englischen Rasen, welchen wir
nur ungerne uninspiziert hinter uns liessen. Wir hielten an, und sofort
scharten sich ein paar Teenager um uns. Der Englische Rasen gehörte zu einem Anatolischen
Gymnasium. Tobias erkundigte sich, ob wir hier eventuell über Nacht unser Zelt
aufschlagen durften. Das eine ergab das andere und da der Müdür (Manager) der Schule es uns nicht erlaubte, lud uns Murat,
der Sportlehrer, zu sich in sein Apartment ein, wo wir im Wohnzimmer
übernachten durften. Ferhat, sein jüngerer Bruder, und er kochten uns später
Hühnchen und Reis, den wir gemeinsam am Boden sitzend assen. Auch der
Mathematiklehrer, der Literaturlehrer und deren Familie gesellten sich zu uns.
Zum Glück war da auch Gudbeydi, der Englischlehrer, der seit unserer Ankunft
unser Dolmetscher war. Murats Turnunterricht begann am nächsten Morgen um zehn
Uhr, und so kochten uns die beiden Brüder noch ein türkisches Frühstück. Von
unserem Müesli mit Honig und Aprikosen mochten allerdings beide nicht kosten. Yulaf ezmesi - Haferflocken war sowieso
zur Seltenheit geworden und der einzige Ort, wo wir jeweils Vorräte kaufen
konnten, war die türkische Variante der Migros. Einmal mehr kam es
schlussendlich ganz anders, als wir dachten, und erneut kamen wir in den Genuss
der scheinbar unendlichen türkischen Gastfreundschaft.
Unser nächstes Ziel war der Van Gölü, ein riesiger Bergsee etwa siebenmal
so gross wie der Bodensee. Der stark alkalische, salzhaltige See, der durch
einen Ausbruch des nahegelegenen Vulkans entstanden ist, hat keinen Abfluss -
den Oberflächenpegel, der je nach Saison bis zu vier Meter schwankt, regelt
alleine die Verdunstung. Doch der Weg zum See musste erst einmal überwunden
werden. Unsere Strasse führte langsam mäandernd und gemächlich ansteigend durch
ein wunderschönes Tal hinauf bis in die Bergstadt Bitlis. Auf der Strecke, die eineinhalb Tage dauerte, entkamen wir
nur knapp einem Hagelsturm, scheuchten diverse Hirtenhunde weg, und tranken Tee
mit kurdischen Strassenbeobachtern. Zu viert sassen sie hoch über der Strasse
in ihrem Steinkabäuschen und zählten vorbeifahrende Taxis, Lastwagen und
Fahrräder - tagein tagaus. Dies zumindest die offizielle Version - was sie da
tatsächlich tun, ist uns bis heute ein Rätsel. Nach Bitlis musste noch eine steile Rampe überwunden werden, um nach Tatvan am See zu gelangen. So zumindest
hatte Domi uns schon mehrmals gewarnt, doch die Rampe wollte und wollte nicht
kommen. Stattdessen fuhren wir mit 35 km/h und Rückenwind über eine Hochebene
direkt nach Tatvan, an den Van Gölü - eine gelungene Überraschung.
Wir nisteten uns in der Dachetage des Hotel Dileks ein und planten unsere
weitere Route.
Vor uns lag ein "Pausentag" - nur 25 km auf den Vulkan
hinauf, wo wir neben dem warmen Kratersee unser Zelt aufschlagen wollten. Ich
sah dem Pausentag mit etwas gemischten Gefühlen entgegen, denn der Name des
Vulkans war wieder Nemrut Dağı, und mit 2935 m.ü.M. der grössere der
beiden Brüder. Glücklicherweise erleichterte der Rückenwind die wenigen
schwierigen Abschnitte und nach knapp 1000 Höhenmetern hatte ich mit den Nemruts Frieden geschlossen.
Über
sandige Pisten fuhren wir hinunter zum kleineren, warmen Kratersee, der ein
Stück näher lag als der grössere, kalte Kratersee. Wir malten es uns bereits
seit dem Frühstück aus, wie wir den Nachmittag friedlich im Bergsee planschend
verbringen wollten. Doch wurden wir bitter enttäuscht - die Temperatur betrug
gerade mal 17°C. Wo waren bitte die versprochenen 30 - 60°C?
Der Kälte zum
Trotz standen Tobias und Marianne bereits halb im See, während Domi und ich
immer noch diskutierten, wo wir unser Zelt aufstellen wollten. Da kam plötzlich
ein Auto angefahren. Der Fahrer, Murat, grüsste uns und wir wechselten ein paar
Worte. Wir beschwerten uns ein Bisschen über die leeren Versprechungen, die
einem in den Reiseführern gemacht werden und er sah uns erstaunt an. "Eveeeet, sıcak su var!" - Aber ja
doch, es gibt heisses Wasser!
Und so folgten wir ihm über einen kleinen, kaum
sichtbaren Trampelpfad hinunter ans Ufer, nur ca. 50 Meter weiter rechts, zu
einem mit Steinmauern begrenzten Tümpel. Und tatsächlich - das Wasser war
badewannenwarm. Wir machten gleich Kehrt um Tobias und Marianne zu holen, die kurz
darauf zusammen mit Murat als Erste im Tümpel sassen. Domi und ich zogen uns
noch rasch um, und schliesslich kuschelten wir zu Fünft in der vulkanischen
Wanne und genossen die Aussicht. Am nächsten Morgen drängte es Domi und mich
weiter an die iranische Grenze, während Tobias und Marianne sich entschieden
noch eine weitere Nacht im Krater zu verbringen.
So trennten sich unsere Wege,
zumindest für eine kurze Dauer, denn in der Grenzstadt wollten wir uns noch
einmal wiedersehen. Der Wind kam an diesem Tag aus der exakt richtigen Richtung
und pustete uns über den Kraterrand hinaus, runter ans Ufer des Vansees, immer
weiter und weiter, bis nach Erciş.
Das Bild, welches sich uns hier bot, war ein erschreckendes: Überall zerstörte
Häuser, dazwischen riesige Notwohnsiedlungen des roten Halbmondes. Rasch kam
uns wieder in den Sinn, dass sich hier nur ein halbes Jahr zuvor ein schlimmes
Erdbeben ereignet hatte, welches diese Stadt und die durch die Medien bekanntere
Stadt Van, schwer getroffen hatte.
Oft sahen wir Ruinen, die neben noch vollständig intakten Gebäuden standen. Ein
Anzeichen dafür, dass die Bauvorschriften hier leider unterschiedlich gut
befolgt worden sind. Im einzigen übrig gebliebenen Hotel verbrachten wir mit
gemischten Gefühlen die Nacht. Bis nach Doğubayazıt
waren es noch zwei Tagesetappen inklusive einer Passüberquerung und so machten wir
uns früh auf den Weg.
Wieder war der Wind auf unserer Seite und schon bald
verliessen wir das Ufer des Vansees und bogen ab, in Richtung Nordosten. Obwohl
landschaftlich wunderschön kamen uns die Leute hier sonderlich reserviert vor.
Viele riefen uns etwas in Kurdisch zu, wovon wir meistens nur "Kurdistan" verstanden, andere
schauten uns nur düster an. Kinder riefen zunehmend ein aufforderndes "Money, Money" anstatt des kecken
"Hello, what is my name?"
und bald schon sahen wir Steine knapp neben unseren Rädern zu Boden fallen.
Hier war es uns beiden nicht mehr geheuer und Kara Ben Nemsi eilte auch nicht
zur Hilfe. Ausserdem befanden wir uns direkt neben der Türkisch-Iranischen
Grenze, wie die zahlreichen Grenzposten rechts oben auf den Bergen bezeugten. So
fuhren wir weiter, immer weiter den Berg hinauf, bis wir schliesslich den Pass
erreicht hatten. Oben war ein Schild - Doğubayazıt 30 km - und es war genau
18:00. Domis GPS zeigte die exakte Uhrzeit an, wann die Sonne untergehen würde.
Bis 19:20 sollte das Licht noch ausreichen, um relativ sicher auf der Strasse
weiterfahren zu können. Würde es noch reichen? Wir holten unsere Reserven
hervor und strampelten weiter - jetzt gegen den Wind. Kurz musste Domi noch
vier hartnäckige Hunde abwehren, doch schliesslich, um halb acht kamen wir in
der Grenzstadt an, wo wir uns erschöpft ein sicheres Hotelzimmer nahmen, und
uns zum Eurovision Song Contest etwas entspannten...
Die nächsten paar Tage
wollen wir hier bleiben; unsere Kräfte sammeln für das nächste Abenteuer - den
Iran. Trotz grosser Vorfreude auf den Iran, verlassen wir die Türkei nur
ungern. Dieses riesige Land hat so viel zu bieten, sowohl landschaftlich als
auch kulturell. Doch was uns immer in Erinnerung bleiben wird, ist die
grenzenlose Gastfreundschaft der Türken.
Çok
teşekkür ederiz ve hoşça kal, Türkiye!!!
znälüü zemeeee,
AntwortenLöschenscho zimli schön diä landschaft. und natürläch o ds badwännli. und faus Dir de ä medieberater bruchte für witeri interview, ig würd de ä fründschaftspriis asetze. au lait und kette rechts.
chrigu
Hoi zäme, wo stecket dir äch itze? mir si euch uf dr Färse. Si nämlech geschter ou in Dougubayazit acho und mache üs morn ufe wäg i iran. äs isch mega interessant zläse wies euch ergeit und mit wenig usnahme heimer mängs glich erläbt wie ihr. ufe nemrut dagi in tatvan heimer aber s taxi gno und die warme quelle heimer leider nid gfunge. mir wünsche euch witerhin ä gueti fahrt und wär weiss, villech trifft me sich plötzlech...
AntwortenLöschenHou zämä!
AntwortenLöschenEs isch immer wieder spannend vo eune reiseerläbnis z läsä! Eui brichte hei mir scho so mängs stiue verchürzt! ;-) jetzt hanget d julia mittlerwile am fläschli, wirde aber trotzdäm eui witerreis gspannt witerverfouge! Merci!!! Aus guete u e liebe gruess vor julia u tinele
Moin moin,
AntwortenLöschenhaben die örtlichen Kollegen Euch das Internetz abgestellt?
Znälüüüüüü und viu Spass
Chrigu
Happy birthday Janine!!!
AntwortenLöschenalles güäta zum Giburtstag und güäti witärreis :-) sms het appa nit giklappt geschtär... ewi iträg sind supär spannund, lüägu immär widär wanär sid. hiä där schnee isch wäg jetz wartä wär abär nu ufu summär. machäts güät
liäbä grüäss stef
liebe janine, lieber dominik
AntwortenLöschenich wollte euch nur wissen lassen, dass ihr meine vollste bewunderung habt!! super photos, unterhaltsame und witzige texte .... ich freue mich immer wieder, von euch zu lesen resp. eure bilder anzuschauen (und mitzubekommen, wie dünner und haarloser dominik wird) - gerade auch im wissen, dass alles von unserer wohnung aus begonnen hat, wie weit mann und frau doch pedalend kommen können oder auch, wie unterschiedlich zeit genutzt werden kann.
ich denk an euch und drücke ganz fest die daumen, dass es weiter gut läuft
herzlicher gruss
adrian