

Nach einer kurzen Nacht fuhren wir weiter in Richtung Tabriz, wo wir Samads und Elhams Familie kennenlernen wollten. Obwohl wir noch nahe an der türkischen Grenze waren, wechselte das Klima schlagartig - es war trocken und heiss. Der warme Wind blies so kräftig, dass wir alle fünf Minuten unseren Mund mit Wasser anfeuchten mussten, weil der Gaumen bereits so ausgetrocknet war. Durch den Gegenwind kamen wir kaum vom Fleck und die Sonne brannte auf uns herab. Ich geriet nach kurzer Zeit in Wasserpanik, da hier Dörfchen und somit Wasserquellen viel spärlicher gesät waren als bisher in der Türkei, aber Domi konnte mich einigermassen beruhigen. Und als wir bei einem Restaurant, das aus dem Nichts auftauchte, eine Cola und eine Fanta für je 30 Rappen in uns hinein geschüttet hatten, sah die Welt schon wieder viel besser aus.
Da hier im Iran etwa zehn Mal so
viele Autos auf den Strassen fahren als in der Türkei, wollten wir am nächsten
Tag einen Weg ausprobieren, der etwas abseits der Hauptverkehrsachse lag.
Bereits im ersten Städtchen merkten wir, dass unsere ungenaue 1:1´500´000 Karte
bei weitem nicht ausreichte, um sich auf den kleinen Nebensträsschen zu
orientieren. Die tausend Schilder auf welchen überall "Bahnhof" stand halfen uns auch
nicht wirklich weiter. Wir hielten an einer Tankstelle, um nach dem Weg zu
fragen, als ein Mann ganz aufgeregt auf uns zu eilte und immer wieder auf Domis
Vorderlicht zeigte. Es war kaum zu glauben - es war derselbe Mann, der uns vor
zwei Tagen in Doğubayazıt wegen der Fahrradlampe
angehalten hatte! Nachdem wir ihm unser Problem geschildert hatten, stiegen er
und zwei seiner Freunde kurzerhand in ihr Auto und zeigten uns den Weg aus der
Stadt hinaus. Glücklicherweise zeigten sie uns auch die restlichen 15 km bis
zur Schnellstrasse (mit Tempo 30 vor uns herfahrend), denn die vielen
Abzweigungen uns auch hier zum Verhängnis werden können. Wir entschieden uns
trotz des starken Verkehrs auf der Hauptstrasse nach Tabriz weiterzufahren.
Unterwegs mussten wir wieder
Proviant einkaufen. Da vorwiegend Männer in Geschäften arbeiteten, die mich
mehr oder weniger überhaupt nicht beachteten, überliess ich in den ersten Tagen
Domi das Einkaufen. Meistens läuft es folgendermassen ab: Domi nimmt sich was
er braucht und die Händler nehmen sich aus unserem Bündel Geld, was sie brauchen.
Das Zahlungssystem ist hier mit den vielen Nullen extrem unübersichtlich, und
erschwerend kommt dazu, dass die meisten Preise hier nicht in Rial angegeben
werden, sondern in imaginärem Tuman,
welcher zehnmal mehr Wert hat, als der Rial. Übers Ohr gehauen hat uns noch
niemand - zumindest hätten wir es nicht bemerkt. Gemüse und Früchte fanden wir immer
sofort, in einem zweiten Geschäft gab es dann meistens Käse, doch Brot zu
finden war jedes Mal eine komplizierte Angelegenheit. Wie wir bald herausfanden,
gibt es Brot nur in staatlich subventionierten Bäckerstuben zu kaufen, die
äusserlich für Touristen kaum als solche zu erkennen sind. Die beste Methode an
frisches Brot zu gelangen ist einfach der Nase zu folgen. Leider erst in Tabriz sollten wir erfahren, dass es
verschiedene Bäckereien für verschiedene Brottypen gibt. Lavash, ein Fladenbrot so dünn wie Papier und nach zehn Minuten in
der Iranischen Hitze trocken wie ein Sandsturm, würden wir künftig vermeiden
und gezielt nach Sangak fragen, einem
Fladenbrot etwas dicker als Papier aber weich und nahrhaft für müde Velofahrer.
In Marand machten wir für die Nacht einen Zwischenhalt an einer
Tankstelle, wo uns M., der
Zahlmeister, gleich zu Sandwich und Eiskrem einlud. Im Iran ist es üblich ein
Angebot etwa dreimal abzulehnen, bevor man es annehmen sollte, damit auch
weniger gut betuchte Leute aus Höflichkeit eine Einladung aussprechen können. Dies
gehört zum Ta'arof, dem Iranischen
Knigge, und wird von der älteren noch sehr häufig und von der jüngeren Bevölkerung
aus Kompliziertheitsgründen immer weniger praktiziert. Erst nach einigem hin
und her sollte man merken, wie ernst das Angebot gemeint ist. Zur Sicherheit
lehnten wir also jedes Angebot etwa dreimal ab, doch auch noch nach dem vierten
oder fünften Mal, liess uns M. unser
Essen nicht selbst bezahlen. Unglaublich, wie freundlich und zuvorkommend wir
hier empfangen wurden. Es ist auch oft die grenzenlose Neugier der Iraner, die
sie dazu bringt, uns auf der Strasse anzusprechen, mit dem Auto langsam neben
uns herzufahren und anzuhalten, über ein Feld zu uns her zu rennen, und uns
schliesslich zu sich nach Hause einzuladen, um mehr über uns und andere Länder
zu erfahren in die zu reisen für viele unglaublich schwierig ist. Aber für sie
genauso wichtig ist es, uns und den Westen davon zu überzeugen, dass der Iran
nicht ein Land voller Terroristen ist, sondern dass die Menschen hier ganz
normale Leute und keine religiösen Fanatiker sind.


Seine Frau und seine Tochter
warteten schon auf uns und überraschten uns mit hausgemachten Kufte, leckere grosse Fleischbälle mit
einer Überraschung in der Mitte. Danach ging unser Programm los - wir besuchten
erst das Azerbaidjan-Museum (mit Azerbaidjan ist nicht das Land gemeint,
sondern die Provinz in Iran, wo die türkisch sprechenden Azari leben). Durch die kompetente Führung von Ahad erfuhren wir viel Interessantes über die Geschichte, Kunst und Kultur
des mittleren Ostens. Anschliessend besuchten wir die blaue Moschee und eines
der wichtigsten Handelszentren der Seidenstrasse: den grössten bedeckten Bazaar der Welt, der von der UNESCO als
Weltkulturerbe anerkannt wurde.
Am Abend wurden wir dann von Elhams Eltern und ihrer Schwester Ayda zum Kabab und rotem Traubensaft... eingeladen: Barbecue über den Dächern von Tabriz ohne Schal und Manteau - ein befreiendes Gefühl. Am nächsten Tag fuhren wir gemeinsam nach Kandovan, ein kleines, in die Felsen geschlagenes Dörfchen. Quasi ein iranisches Mini-Kappadokien. Es war der 3. Juni 2012 bzw. der 14.3.1391, 23 Jahre nachdem der Iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini starb. Jedes Jahr gibt die Regierung den Menschen diesen Tag frei, um nach Teheran an sein Grab zu pilgern. Doch uns kam es eher so vor, als wären alle nach Kandovan gereist...
Am Abend wurden wir dann von Elhams Eltern und ihrer Schwester Ayda zum Kabab und rotem Traubensaft... eingeladen: Barbecue über den Dächern von Tabriz ohne Schal und Manteau - ein befreiendes Gefühl. Am nächsten Tag fuhren wir gemeinsam nach Kandovan, ein kleines, in die Felsen geschlagenes Dörfchen. Quasi ein iranisches Mini-Kappadokien. Es war der 3. Juni 2012 bzw. der 14.3.1391, 23 Jahre nachdem der Iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini starb. Jedes Jahr gibt die Regierung den Menschen diesen Tag frei, um nach Teheran an sein Grab zu pilgern. Doch uns kam es eher so vor, als wären alle nach Kandovan gereist...


Hierhin verschlug es wohl auch weniger Touristen, denn wir waren praktisch in jedem Ort die Hauptattraktion. In Bukan wurden wir besonders freundlich empfangen, E., ein Pflegefachstudent half uns dabei, ein Hotel zu finden, und etwas später sprachen uns H. und seine Tochter N. in perfektem Englisch an, ob wir nicht zu Ihnen zu Gast kommen wollten. Es tat uns wahnsinnig leid, ihnen absagen zu müssen, denn sie hatten Verwandte in der Schweiz und waren interessiert, mehr über unser Land zu erfahren. Unser Hotel war nur leider bereits gebucht. Am nächsten Morgen fuhren wir los, als mein Velo plötzlich auffallend laut knackte. Ich dachte erst, ich hätte mich mal wieder verschaltet, und trat noch einmal, wieder knackte es und das Rad blockierte total. Ich stieg vom Rad und schaute nach was los war. Mit Schrecken stellte ich fest, dass sich mein Wechsler vollkommen verbogen hatte und zwischen den Hinterradspeichen steckte. Eines der wichtigen Teile, das nicht zu reparieren war da aus Alu war kaputt! Mir liefen schon die Tränen über die Wangen, als ich Domi durch die Kurdenmenge, die frühmorgens auf dieser Strasse unterwegs war, zurückpfiff. Er konnte mich zwar nicht hören, doch die Menge begriff sofort was los war, und aufgeregt winkten ihn die Männer in meine Richtung zurück. Glücklicherweise waren zu jeder Zeit so viele Augen auf mich gerichtet, dass mir schon bald vier verschiedene Hände verlorene Schrauben und Zahnräder hinhielten. Ich hätte selbst keine Ahnung gehabt, was alles fehlte. Beim ersten Versuch den Wechsler zurückzubiegen, brach er in zwei Teile und ich noch mehr in Tränen aus; dachte, unsere Reise sei hier vorbei. Ein liebenswürdiger Mann meinte zu mir "no problem - come, come - bicycle service!" und führte uns zu einer Velowerkstatt. Der Mechaniker sah sich das gebrochene Teil an, und machte sich auf die Suche nach einem Ersatzteil. Da unsere Velos mehr Gänge haben als die Iranischen Varianten, liess sich kein passendes Teil finden. Nach kurzem Überlegen versuchte er Domi mit Händen und Füssen zu erklären, dass man dies einfach schweissen konnte. Alu schweissen? Uns blieb nichts anders übrig, als diese Option auszutesten. Während ich auf die Velos und das Gepäck aufpasste, machte sich Domi mit dem Mechaniker auf den Weg zur Werkstatt, in der Alu geschweisst werden konnte - und machte grosse Augen, als plötzlich sie in H.´s Werkstatt landeten, dem Kurden, der uns gestern so gerne zu sich eingeladen hätte. Voller Stolz, dass er uns helfen konnte, schweisste er gekonnt das gebrochene Aluteil zusammen.
Bald kamen Domi und der Velomechaniker zurück in die Werkstatt und konnten gemeinsam mein Velo reparieren, als das Telefon klingelte. Es war erneut H., der uns zu sich nach Hause zum Essen einladen wollte. Er freute sich über unsere langerwartete Zusage und stand bald darauf mit seiner Tochter in der Werkstatt um uns den Weg zu sich nach Hause zu zeigen. Während er die zwei Stunden bis zum Mittag noch arbeitete, fuhren die Tochter und ihr Cousin mit uns in eine nahegelegene Höhle und wieder zurück nach Hause, wo wir zum ersten Mal Iranische Pizza kosteten - eine richtige Energiebombe mit viel Käse und Ketchup. Schweren Herzens machten wir uns dann am Spätnachmittag wieder auf den Weg. Aufgrund unseres allzu kurzen Visums mussten wir ihre Einladung zu einer kurdischen Hochzeit, die am nächsten Tag stattfinden sollte, abschlagen. Das wäre bestimmt ein einmaliges Erlebnis gewesen.
Mit intakten Velos fuhren wir
weiter ins Innere der Provinz. Nach einer entspannten Nacht im Hotel von Saghez fuhren wir über viele Hügel, die
immerhin über 2000 m.ü.M. hoch waren, nach Divandarreh.
Dort sprach uns N., ein kurdischer
Englischlehrer in einwandfreiem Oxfordenglisch an, und half uns ein Mosaferkhaneh zu finden. Er betonte
immer wieder, dass er uns gerne zu sich nach Hause einladen würde, und beim
Anblick des Motels sagten wir schliesslich gerne zu. Wir verbrachten einen
wunderschönen Abend mit N. und seiner
Familie in seinem einfachen, kurdischen Haus. Wie es typisch ist für einen
kurdischen Haushalt, gab es praktisch keine Möbel, dafür war die ganze Wohnung
ausgestattet mit Perserteppichen und Kissen. Man konnte sich hinsetzen oder
-legen wo man wollte, es war richtig gemütlich. Von N. erfuhren wir viel über
die Kurden, ein Volk, das trotz starkem
Identitätsbewusstsein seit hunderten von Jahren über verschiedene Landesgrenzen
hinweg verteilt ist, und aufgrund massiver Kontrollen und Einschränkungen durch
die türkische, iranische, syrische und irakische Regierung bis heute erfolglos
blieb, einen eigenen kurdischen Staat zu gründen.



Da unsere Zeit im Iran ablief und trotz 1000 km seit der türkischen Grenze immer noch im Westen des Landes waren, entschieden wir uns den Bus nach Isfahan zu nehmen. Für die Strecke, die wir jetzt in einer Nacht zurücklegten, konnten wir fünf Tage Zeit zurückgewinnen. Am frühen Morgen kamen wir dann übernächtigt in Isfahan an, wo wir bereits von Ali (Aydas Cousin) erwartet wurden.
Das tönt alles sehr interessant!
AntwortenLöschenLieber Gruss
Moni von der Mobi
Ein Hoch auf die Iranischen Velomeche! Es scheint mir, dass im Iran noch mehr "jeder jeden kennt" bzw. "jeder gar mit jedem verwandt ist" als in der Schweiz. Könntet Ihr bitte einmal einen Stammbaum Eurer bekannten Iraner veröffentlichen. Denn ich muss feststellen, dass es mir aufgrund der mir unalltäglichen Namen schwerer fällt, mir die Verwandschaftsverhältnisse zu merken.
AntwortenLöschenViel Spass und bleibt Pannenfrei (obwohl, wer Alu schweissen kann, kann sicherlich alle Veloteile reparieren) ;-)
Au lait Chrigu
Bei mir funktioniert übrigens der Link zu den Bildern nicht. Hat da sonst noch jemand Probleme oder liegt das an meinem Proxy etc.?
AntwortenLöschenSuper, jetzt klappt es mit den Bildern! Trotz der farbigen Schilderungen ist es halt mit Fotos nochmals eine Stufe eindrücklicher.
AntwortenLöschenMerci und herzliche Grüsse M